Kollektives Arbeiten als Weg in die Zukunft

Let's live together!

Impulsvortrag an der Regionalkonferenz Krieglach,
Kulturstrategie 2030, Land Steiermark


Autor*innen: Julia Fröhlich, Rebekka Hirschberg
Lesezeit: 5 min

Autor*innen: Jomo Ruderer, Rebekka Hirschberg
Lesezeit: 15 min

 

 

Wir freuen uns sehr über die Einladung der Regionalstrateginnen, heute, hier in Krieglach, einen kurzen Input zum Kollektiven Arbeiten geben zu dürfen. Wir sind Rebekka Hirschberg und Julia Fröhlich, Teil des wohnlabor – ein Kollektiv aus 5 Personen, die sich im Architekturstudium an der TU Graz kennengelernt haben. Wir haben uns für den Architektursommer 2018 zusammengetan, um eine einwöchige Veranstaltung zu organisieren.
Heute, viereinhalb Jahre später, arbeiten wir einen guten Teil unserer Arbeitswoche an gemeinsamen Projekten, wie Ausstellungen, Texten und Veranstaltungen rund ums Thema Wohnen.
 
Zum Start möchten wir 3 Punkte nennen, die uns vielleicht mit den Themen Ihrer Veranstaltung verbinden:
● das wohnlabor ist aus einer Veranstaltung heraus entstanden, bei uns eine selbst initiierten Veranstaltungswoche,
● es ist außerdem aus einer Motivation, die Dinge einmal etwas anders zu denken und breiter zu diskutieren hervorgegangen, und 
● es hat recht bald Strategien gebraucht, wie man vielleicht etwas unkonventionell zusammenarbeiten kann.
 
Wir würden deshalb heute gerne mit Ihnen teilen, was wir, wenn wir an unser gemeinsames Arbeiten denken, als besonders wertvoll vielleicht sogar, wie heute Nachmittag diskutiert “als einen Weg in die Zukunft” erachten, was dieses Arbeiten für uns attraktiv und umsetzbar macht und auch, was wir von erfolgreich arbeitenden Gruppen gelernt haben. 
 
Anhand von fünf Schlagwörtern wollen wir hoch pragmatische bis ideelle Themen anreißen, von denen wir denken, dass Kulturschaffende oder engagierte BürgerInnen auch profitieren könnten.
 

 

motiviert

Unsere erste öffentliche Veranstaltung, im Nachhinein so etwas wie der Gründungsmoment, fand im Haus der Architektur in Graz statt. Das Motto lautete „Wohnen betrifft uns alle.“ Die Woche war dicht gefüllt mit Workshop, Vorträgen, Filmscreenings und Diskussionen. Dabei war unser Ziel, Alternativen zum Wohnungsmarkt aufzuzeigen, mit dem wir aus unterschiedlichen Gründen immer unzufriedener geworden sind.
 
In unserem Berufsalltag und den eingefahrenen Abläufen der Architekturproduktion war es uns kaum möglich, dieser Unzufriedenheit konstruktiv zu begegnen. Außerdem hatten wir das Gefühl, wir brauchten Verstärkung – eine Wertediskussion über die Branche hinaus, zur Frage: Wie wollen wir eigentlich wohnen? Was brauchen die Menschen wirklich?
Woran haben wir uns gewöhnt, was vor allem InvestorInnen dient?
Braucht es für alle Aufgaben gleich ein neue Gebäude? Oder könnte man mehr bestehende Gebäude umnutzen? Kann nicht schöner und besser auch langfristig nachhaltiger und günstiger sein?
 
Nach der Veranstaltungswoche war uns klar, dass wir weitermachen wollen, obwohl das im Vorhinein eigentlich nie geplant war. Im Prozess der Vorbereitung hatten wir uns – eher nebenbei – Strukturen für eine weitere, stabile Zusammenarbeit aufgebaut. An dieser Stelle wollen wir deshalb nochmal ansprechen, wie beeindruckt wir sind, welcher Prozess mit der Kulturstrategie angestoßen worden ist und wie viel an Struktur damit bereits entstanden ist.
 
Unsere ersten Strukturen und die Motivation, die Dinge als Gruppe anders zu denken haben, uns ein ganzes Stück weit getragen. Bald nach der Veranstaltung, nahmen wir den Titel der Woche, und gründeten unter diesem unseren gemeinnützigen Verein:  “wohnlabor. Verein zur Förderung des öffentlichen Diskurses zum Thema Wohnen”.

 

kollektiv

„Wir haben in unserem wohnlabor unterschiedliche Stärken und Auffassungen und schaffen als Team so viel mehr, als eine oder einer von uns alleine das geschafft oder sich überhaupt zugetraut hätte.”

Auch wenn es manchmal etwas länger dauert, bis wir uns auf etwas einigen, sind wir bald überzeugte Teamplayer geworden. Da das Arbeiten in der Gruppe aber auch seine Herausforderungen hat wollen wir Ihnen von Werkzeugen erzählen, über die wir beim Arbeiten fast zufällig gestolpert sind, die uns aber enorm geholfen haben:
 
Zu Beginn zählten nämlich “Baugruppen” zu unseren Untersuchungsgegenständen. Baugruppen sind Menschen, die sich zusammenschließen, um gemeinsam ihren Wohnraum nach ihren Vorstellungen zu planen. Anfangs haben uns für diese Gruppen besonders inhaltlich interessiert. Wir wollten wissen, wie sie bauen, wie sie wohnen wollen, und welche Qualitäten ihnen dabei wichtig sind. Im Prozess haben wir aber schnell gemerkt, dass wir von ihnen lernen können, wie man als Gruppe relativ konfliktfrei und konstruktiv zusammenarbeiten kann.
 
Eine Methode, die wir uns abgeschaut haben, ist das Dragon Dreaming. Ein Phasenplan von erfolgreichen Projekten, der eine wiederkehrende Reihenfolge vom völlig freien Nachdenken, dem genauen Planen, dem produktiven Umsetzen und dem Feiern oder Zelebrieren vorsieht. Das gilt für in-sich-geschlossene Projekte, aber auch für langfristige Prozesse. Manchmal, wenn bei uns gerade nicht viel weiter geht und wir „anstehen“, sagt eine von uns – „Eh klar, wir haben ja auch viel zu lange nicht mehr gefeiert!“ Feiern kann auch gemeinsam Essen, Wandern oder Tanzen sein. Oder wie hier im festlichen Rahmen zusammenzukommen, um die Dinge zu ver”fest”igen.
 
Ein weiterer Aha-Moment bei den Baugruppen war für uns das Entdecken der Vision. Wir haben viele Projekte mit ihren Visionen kennengelernt und erkannt, wie wichtig diese für Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften sind. Dabei geht es um das Ausarbeiten einer Idee, einer Strategie, hinter der sich die gesamte Gruppe mit Überzeugung stellen kann. Klar ausformulierte, verschriftliche Visionen helfen, den Fokus auf das Wesentliche zu halten und Entscheidungen anhand dieser zu treffen und sie tatsächlich umzusetzen.

 


selbstorganisiert 

Für diese Entscheidungen und die interne Organisation haben wir die Soziokratie entdeckt. Soziokratie bedeutet aus dem lateinischen übersetzt, “mit Gefährten regieren”. Anders als einer strengen Pyramide, funktioniert die Hierarchie bei der Soziokratie durch Kreise. Die Kreise sind untereinander durch je zwei Personen verbunden, um Verantwortung zu teilen und den Informationsaustausch zu fördern. Das Ziel dabei ist, die Intelligenz der Gruppe zu nützen, die erfahrungsgemäß ab fünf Personen entsteht. Möglichst viele Entscheidungen sollen in den zuständigen Kreisen getroffen.
 
Entschieden wird in der Soziokratie nach dem Konsentprinzip. Konsent ist nicht Konsens. Beim Konsent geht es darum, gemeinsam eine Lösung ohne schwerwiegende Einwände zu finden. Ein reines Veto gibt es dabei nicht, aber begründete Einwände sind in der Soziokratie immer willkommen, da sie langfristig zu einer besseren Lösung ohne Konfliktpotential beitragen. Schwerwiegende Einwände nehmen auch wir in unserer Zusammenarbeit sehr ernst. Und auch bei uns sind immer zwei Personen gemeinsam zuständig.

 


verbunden

Wir wollen euch auch erzählen wie wir damit umgehen, dass wir an unterschiedlichen Orten leben und trotzdem eng zusammenarbeiten. Zurzeit sitzen wir in Graz, Wien, Berlin und Köln, waren aber auch schon viel weiter getrennt. Wir denken dabei auch daran, dass wir allgemein in Zeiten großer Mobilität leben. Viele Menschen ziehen zu Ausbildungszwecken oder für die Arbeit weg, in andere Städte, und wollen trotzdem mit bestimmten Orten oder Gemeinden in Verbindung bleiben. Ein Phänomen, das auch in der Obersteiermark deutlich wird.
 
Im wohnlabor stellen wir uns dieser räumlichen Zerstreuung gruppenintern mit digitalen Sitzungen, langfristiger Terminplanung, klare Zuständigkeiten und regelmäßigem workshopartigen Arbeiten an einem gemeinsamen Ort. Nicht zu vergessen, das regelmäßige gemeinsame Feiern. Wir nutzen digitale Tools, legen alles am gemeinsamen Server ab, schauen online auf Pinnwände und haben ein gut strukturiertes Nachrichtenprogramm und gemeinsame Kalender – sodass kaum ein Nachteil daraus entsteht, dass wir nicht im selben Raum sitzen.
 
Und nach außen: Das wohnlabor hat keine Öffnungszeiten. Wir versuchen aber bei Veranstaltungen und Treffen, die mit unseren Fragen zu tun haben konsequent vor Ort präsent zu sein und über unterschiedliche Kanäle, Mail und Social Media oder auch mal die Zeitung, verlässlich in Austausch zu gehen und zu reagieren. Für jedes Projekt gibt es außerdem zumindest eine verantwortliche Person am Ort der Umsetzung. Wir freuen uns, dass wir so recht unabhängig von räumlicher Distanz die letzten Jahre ein Vertrauensverhältnis und Netzwerk mit anderen KollegInnen und Institutionen aufbauen konnten.

 


offen

„Durch diesen Austausch wollen wir stets neugierig und offen bleiben.
Als 'Labor' verstehen wir uns als Experimentierraum!”

Dazu gehört, dass wir Dinge ausprobieren und Fehler machen. Und uns Zeit nehmen, den Status quo zu hinterfragen. Dazu gehört auch, dass wir offen sein wollen, um uns weiterzuentwickeln. In Zukunft wollen wir größer denken und eine langfristigere Finanzierung unserer Arbeit auf die Beine stellen.
 
Unser Fokus ist das Wohnen, und wie gebauter Raum und dessen Nutzung auf die Gesellschaft einwirken. Dabei geht es um die Finanzierung von Wohnraum, ökologisches Bauen, Räume für Begegnung und darum, die Bedürfnisse der Menschen beim Bauen in den Mittelpunkt zu stellen.
 
Wir arbeiten in unterschiedlichen Kooperationen, Teams und Formaten, um die Themen zu erforschen und zu vermitteln. Dazu zählen partizipative Workshops, Ausstellungen, neuerdings auch ein Podcast und Publikationen. Wir diskutieren diese an unterschiedlichen Orten, wie der Häuslbauermesse, im Haus der Architektur, online und im wissenschaftlichen Rahmen. Bei vielen Projekten, ist es uns aber in erster Linie wichtig, die Inhalte zugänglich zu machen, anzuregen und Ideen und Meinungen auszutauschen.
 
Eine Methode, die wir in Workshops aber auch für unsere Zusammenarbeit nützen, ist der Redekreis. Es wird reihum gesprochen, jeder und jede kommt zu Wort, niemand unterbricht. Diese Methode ist in unseren Augen unglaublich wirksam, um in einer Gruppe, das Zuhören zu etablieren, ohne vorschnell zu urteilen.
 
Gemeinsam rund um einen Tisch zusammenkommen, zuhören und voneinander lernen – so wie einige von uns auch den heutigen Nachmittag verbracht haben. Wir sind nun gespannt zu hören, was dabei herausgekommen ist, und wünschen uns in diesem Sinne allen einen spannenden und bereichernden Abend!